Gemeinsame Stellungnahme von Grüne, SPD, Linke, FDP und ÖDP
im Ortsbeirat Mainz-Altstadt am 23.03.2022
Am Winterhafen treffen Menschen, die feiern möchten, auf Menschen, die dort wohnen und gestört werden. Dies ist ein typischer Stadtteilkonflikt, der politisch zu lösen ist. Daher ist es falsch, dass die Stadtverwaltung nicht das Gespräch mit dem Ortsbeirat gesucht hat, bevor sie weitreichende Verbote öffentlich ankündigt. Der Ortsbeirat ist als demokratisch gewählte Vertretung der Bürgerschaft erster Ansprechpartner, um bei lokalen Nutzungskonflikten Interessen abzuwägen und praktische Lösungen zu entwickeln.
Diese Stellungnahme wird durch eine breite Mehrheit von fünf Fraktionen getragen. Die von der Verwaltung geplante „Gefahrenabwehrverordnung“ (Vorlage 0306/2022) und die Änderung der Grünanlagensatzung (Vorlage 0245/2022) halten wir für keine geeignete Lösung; vielmehr sorgen diese für große Unzufriedenheit im Stadtteil. Ein guter Kompromiss berücksichtigt die Interessen der Bewohnerschaft am Winterhafen, aber auch der Bewohnerschaft in benachbarten Quartieren sowie der Gäste, die ohne Lärm und Scherben feiern. Wir sind optimistisch, eine faire Lösung entwickeln zu können, die vielleicht sogar drastische Verbote für die vielen Menschen, die sich rücksichtsvoll benehmen, vermeiden kann.
Zuvor haben wir jedoch eine Reihe rechtlicher und technischer Fragen. Umso mehr bedauern wir, dass die Berichterstattung durch das Rechtsamt in der heutigen Ortsbeiratssitzung abgelehnt wurde. Daher haben wir die untenstehenden Fragen schriftlich zusammengestellt. Wir bitten nun um schriftliche Beantwortung dieser Fragen. Die Antworten mögen bitte allen politischen Gremien frühzeitig übermittelt werden, bevor sie sich mit diesen Verboten oder anderen Maßnahmen befassen. Deshalb bitten wir den Stadtrat, die beiden Vorlagen (auch wenn sie vielleicht noch kurzfristig geändert werden) am 6. April nicht zu beschließen, sondern zurückzustellen, um die Antworten auf die offenen Fragen berücksichtigen zu können. Das Ziel muss sein, eine Chance für eine geeignete und im Stadtteil akzeptierte Lösung zu ermöglichen.
Der Ortsbeirat Altstadt stellt grundsätzlich fest:
- Alle Menschen brauchen Nachtruhe: Denn erholsamer Schlaf ist wichtig für die Gesundheit. Dies gilt am Winterhafen wie in allen Wohnquartieren. Lärm, Scherben, Müll und Wildpinkeln sind ein Problem der gesamten Altstadt. Daher setzt sich der Ortsbeirat seit Jahrzehnten für mehr öffentliche Toiletten, häufigere Reinigung, mehr und größere Abfalleimer sowie für Ordnungskräfte, die nachts auch zu Fuß oder per Rad unterwegs sind, ein. Wir danken insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Entsorgungsbetriebs, des Ordnungsamts und der Verkehrsüberwachung für ihren wertvollen Einsatz. Dass die Verwaltung viele unserer Vorschläge, gerade am Winterhafen, in den letzten Jahren umgesetzt hat, begrüßen wir sehr; wir sehen aber noch weiteres Potenzial, siehe Fragen unten.
- Die Altstadt braucht Freiräume: Die 18.000 Einwohnerinnen und Einwohner haben ein Recht auf öffentlichen Raum, in dem sie spontan und kostenlos sich treffen und feiern können. Für uns Altstädterinnen und Altstädter, die über keine Gärten und häufig auch keine Balkone verfügen, ist dies besonders wichtig, sogar unverzichtbar. Auch bei uns muss es Orte geben, an denen man sich mit einer Flasche Wein oder Bier hinsetzen kann, Geburtstag feiert oder einfach mal eine Gitarre rausholt. In der Altstadt muss insbesondere Raum für Jugendkultur erhalten und geschaffen werden; denn Jugendliche auf Trinkgelage und Pöbelei zu reduzieren, wird ihnen nicht gerecht. Zugleich muss es am Rheinufer auch Abschnitte geben, in denen Menschen das Ambiente in „relativer Ruhe“ genießen können.
- Alternativen sind notwendig: Die Mole am Winterhafen ist einer der wenigen Orte der Altstadt, der mehr als 100 Meter Abstand zur Wohnbebauung hat. Seit Jahrzehnten ist sie auch ein Ort zum Feiern. Wer hier die Möglichkeiten durch drastische Verbote einschränken möchte, muss attraktive Alternativen in der Altstadt schaffen, die mindestens so weit von der Wohnbebauung entfernt liegen wie die Mole. Schließlich steht der Anwohnerschaft auch tagsüber ein gewisser Lärmschutz zu.
- Verlagerungen sind nicht akzeptabel: Eine Briefmarkenplanung wie die Verbote am Winterhafen wird die Probleme in die Nachbarschaft verschieben. Damit wäre nichts gewonnen. Im Gegenteil: Die Rheinpromenade an der Uferstraße und der Fischtorplatz grenzen unmittelbar an Wohnbebauung, und die Malakoff-Terrasse liegt direkt am Hyatt-Hotel.
- Den Einsatz privater Sicherheitsdienste im Winterhafen lehnen wir ab. Recht und Ordnung im öffentlichen Raum gehören in die Hand des Staates, also von Polizei und Ordnungsamt.
- Umweltbewusst handeln: Wenn der Umgang mit Flaschen kritisiert wird, ist ein verändertes Verhalten bei anderen Behältnissen keine logische Folge. So wären Plastikflaschen als auch Aluminiumdosen eine einfache Alternative zu den verbotenen Glasflaschen. Diese würden durch ihr leichtes Gewicht gerade am Winterhafen schnell von selbst in den Rhein wehen. Dies wäre eine unverantwortbare Gefährdung der Flora und Fauna.
- Eigenverantwortung stärken: Neben den vielen Maßnahmen ist es besonders wichtig, das Bewusstsein für mehr Rücksichtnahme zu stärken.
Der Ortsbeirat Altstadt hat viele Fragen:
Verbote treffen auch die Vielen, die sich rücksichtsvoll benehmen. Bevor zu drastischen Mitteln gegriffen wird, bitten wir um Klärung folgender Fragen und Vorschläge:
Musikverbot
- Wieso reichen die bestehenden rechtlichen Regelungen zur Lärmbeschränkung nicht aus?
- Warum soll das Musikverbot nur an der Winterhafenmole gelten, die rund 120 Meter von den nächsten Wohnungen entfernt ist, und nicht an der Winterhafenpromenade, die unmittelbar an die Wohnhäuser grenzt? Wäre es nicht sinnvoller, die Promenade statt der Mole zu schützen und dafür ein anderes rechtliches Instrument als das der Grünsatzung zu wählen?
- Sieht die Verwaltung es nicht als offensichtlich an, dass die punktuellen Verbote am Winterhafen die Probleme in die Nachbarschaft verlagert? Wieso kann die Bewohnerschaft an der Uferstraße und am Fischtorplatz nicht wie die am Winterhafen geschützt werden? Warum wird den Hotelgästen an der Malakoff-Terrasse ein Schutz verwehrt? Wie begründet die Verwaltung die Ungleichbehandlung?
- Das Musikverbot („Tongeräteverbot“) soll gemäß der Definition in der neuen Grünanalagensatzung „Geräte, die der Erzeugung oder Wiedergabe von Schall oder Schallzeichen dienen“ umfassen. In der Beschlussvorlage wird betont: „Nahezu jedes Smartphone ist in der Lage Musik abzuspielen.“ Ab wann fällt ein Smartphone unter das geplante Verbot? Wie kann ein Smartphone, selbst bei voller Lautstärke, die Nachtruhe in Wohnungen, die 120 Meter entfernt sind, stören? Warum beschränkt sich das Verbot nicht auf Geräte, die Schall verstärken? („Lautsprecher“, „Verstärker“)
- Gibt es einfach zu bedienende, tragbare Schallmessgeräte, mit denen eine Überschreitung von Grenzwerten kontrolliert werden könnte?
Glasverbot
- War die Zahl und Größe der Abfallbehälter (Eimer, Container etc.) im letzten Sommer immer ausreichend? Kam es vor, dass sie überfüllt waren? Wie steht die Verwaltung zum Vorschlag, auch Glascontainer aufzustellen, um eine Mülltrennung zu ermöglichen? Wie steht sie zur Idee, eine kleine „Entsorgungsinsel“ zu ergänzen, die als zentrale, gut erkennbare Anlaufstelle neben einem Müllcontainer auch einen Glascontainer sowie öffentliche Öko-Toiletten enthält?
- Liegt das Problem der Scherben nach den Erfahrungen eher darin, dass Flaschen achtlos liegen gelassen wurden oder dass sie bewusst neben (statt in) den Abfallbehältern abgestellt wurden (z. B. weil an Pfandsammler oder an Glastrennung gedacht wurde)?
- Wann und wie häufig wurden im letzten Sommer „Müllscouts“ eingesetzt? Welche Erfahrungen wurden gemacht? Ist geplant, deren Einsatz diesen Sommer zu intensivieren? Wie sind die Kosten für deren Einsatz mit den Kosten für den Einsatz privater Sicherheitsdienste zu vergleichen?
- Wann (zu welchen Uhrzeiten) wurden im letzten Sommer die Abfallbehälter geleert? Wann (zu welchen Uhrzeiten) wurde die Mole gereinigt? Welche Kosten wurden dadurch verursacht?
- Wäre es aus Sicht der Verwaltung sinnvoll, herumliegende Flaschen noch abends durch den Entsorgungsbetrieb einzusammeln, um zu vermeiden, dass Scherben entstehen, die am darauffolgenden Morgen mühsam entfernt werden müssten? Gibt es Erfahrungen in Mainz mit abendlichen Leerungen von Behältern, Sammlungen von Flaschen oder Reinigung von Flächen? Wie sind die arbeitszeitlichen Regelungen im Entsorgungsbetrieb?
- Wurden bereits kreative Ideen zur Eindämmung des Glas- und Einwegmülls geprüft wie Maßnahmen, die auf sogenannte Nudging-Ansätze aufbauen? (niedrigschwellige Anreize zur Verhaltensänderung, z. B. Abfall-Fangkörbe und eine Aufmerksamkeitsfokussierung auf die Abfallbehälter) Sind neue Werbestrategien gegen Müll, Glaszerstörung und Lärmbelästigung vorgesehen (z. B. Schilder mit Meenzer Sprüchen)? Wie steht die Verwaltung zum Vorschlag, die Abfallbehälter mit Leuchtmarkierungen zu versehen, damit sie im Dunkeln besser wahrgenommen werden?
Beide Verbote
- Wie sollen die geplanten Verbote durchgesetzt werden? (Wie wird kontrolliert? Zu welchen Uhrzeiten? Mit wie viel Personal?)
- Was ist der Grund, warum die Verwaltung zur Durchsetzung auch auf private Sicherheitsdienste setzt? Wie ist deren Qualifikation und Ausrüstung? Welche Kosten werden für den Einsatz im kommenden Sommer kalkuliert? Wie ist die Zusammenarbeit und Aufgabenteilung zwischen Ordnungsamt, Polizei und privaten Sicherheitsdiensten geplant?
- In der Pressemitteilung der Stadt vom 09.03.2022 heißt es: „Auch die auf öffentlicher Fläche immer wieder zu beobachtenden und mittels mobiler Tische durchgeführten Trinkspiele werden ab sofort als illegale Sondernutzung gewertet.“ Was bezweckt die Verwaltung damit? Wieso möchte sie Spiele wie „Wikingerschach“ verbieten, die weder Lärm noch Abfälle produzieren? Wieso findet sich dies nicht in den beiden Beschlussvorlagen? Wie ist hierbei die Beteiligung der Gremien sichergestellt?
Allgemein
- Seit wann hat sich nach Beobachtung der Verwaltung die Problematik am Winterhafen entscheidend verschärft? Sieht die Verwaltung einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und der Schließung von Clubs, Bars, Kinos etc.? Sieht die Verwaltung die Chance, dass sich die Problematik mit dem Ende der Schließungen wieder entspannt?
- Sind der Verwaltung die Ergebnisse der Untersuchung von Prof. Bierschenk (Institut für Ethnologie der Universität Mainz) bezüglich der Polizeistrategie am Winterhafen bekannt? Inwiefern wurden oder werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Lösungsstrategie der Verwaltung berücksichtigt?
- Sind in der Vergangenheit am Winterhafen Streetworker eingesetzt worden? Wenn ja: Mit welchen Erfahrungen? Wenn nein: Wäre dies aus Sicht der Verwaltung künftig sinnvoll?
- Ist die Verkehrsüberwachung in den problematischen Nächten im Einsatz, um das illegale Befahren bzw. Parken am Winterhafen zu unterbinden? Wenn nein: Ist die Polizei hier bei Fragen des ruhenden Verkehrs tätig geworden? Inwieweit tragen ausbleibende Kontrollen zur Attraktivität des Gebiets für auswärtige „Partytrupps“, die mit PKW anreisen, bei?
- Teilt die Verwaltung unsere Auffassung, dass die Altstadt mehr öffentlichen Raum (entfernt von Wohnbebauung) zum Feiern und für Jugendkultur sowie auch zur ruhigen Erholung benötigt? Welche Orte hält die Verwaltung für geeignet – und für geeigneter als die Winterhafenmole? Inwiefern könnte der Bereich am Rheinufer beidseits der Theodor-Heuss-Brücke hierfür hergerichtet und attraktiviert werden? Wie steht die Verwaltung zur Initiative des Ortsbeirats für einen Schlossgarten?
- Wird die Verwaltung einen „Runden Tisch“ der Jugendorganisationen der demokratischen Parteien des Stadtrats einberufen? Hier könnte nicht nur über die Situation am Winterhafen gesprochen werden, sondern auch grundsätzlich, auf welche Weise unser Altstadtufer für alle Generationen entwickelt werden und wie eine gemeinsame Verantwortung für das Leben am Fluss aussehen kann.
Wir bitten, die Beschlussfassung über das geplante Musik- und Glasverbot so lange zurückzustellen, bis die Verwaltung unsere Fragen beantworten kann und wir eine Lösung entwickeln können, die im betroffenen Stadtteil auf breite Akzeptanz stößt und tatsächlich realisierbar ist.
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