Das ECE-Konzept ist gescheitert: eine Chance für einen Neuanfang (Rede von Andreas Behringer auf dem Neujahrsempfang der Altstadt-SPD)

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Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde der Altstadt und der SPD!

Auch ich wünsche euch und Ihnen für das neue Jahr alles Gute – persönlich, familiär, im Beruf und im Ehrenamt. Möge unser gemeinsames Engagement für die Altstadt, für Mainz und weit darüber hinaus auch künftig so erfolgreich sein. Und möge unsere Zusammenarbeit – über alle Grenzen hinweg – weiter so von Respekt und Solidarität gekennzeichnet sein.

Ein SPD-Ortsverein bietet vielfältige Möglichkeiten des Engagements. Die Themen reichen von der Kommunalpolitik bis zur Europapolitik. Nora Egler hat bereits mehrere Facetten angesprochen. Schwerpunkt wird heute Abend die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland sein – eine historische Reform. Hierfür konnten wir eine ganze Reihe von Expertinnen und Experten gewinnen, die das wichtige Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten werden. Ich bin sehr gespannt auf Ihre und eure Ausführungen. Und gerade weil wir heute Abend mit Fachleuten gesegnet sind, werde ich in meiner Rede noch einen ganz anderen inhaltlichen Akzent setzen.

Im Mai letzten Jahres hatten wir Stadtratswahlen. Bezeichnenderweise hat kein Thema die Wahlentscheidung so beeinflusst wie das Thema ECE. Der Immobilienkonzern möchte bekanntlich im Herzen von Mainz ein riesiges Shopping Center errichten: vom Gutenbergplatz bis zur Polizei.

Die Altstadt-SPD hat wie keine zweite politische Kraft dieses Vorhaben öffentlich diskutiert und sich klar positioniert – für ein Quartier und gegen ein Shopping Center. Die Bürgerinnen und Bürger haben dies bei der Wahl honoriert: Alle unsere Kandidatinnen und Kandidaten sind auf der Mainzer SPD-Liste geradezu nach oben katapultiert worden. Mit Nora und mir sind wir nun zweifach im Stadtrat vertreten. Dazu haben viele beigetragen – viele, die auch heute hier sind.
Ein herzliches Dankeschön an alle: Wir waren gemeinsam erfolgreich!

Es ist erstaunlich still geworden um dieses Thema. Auch wir von der Altstadt-SPD haben uns seit langem dazu nicht mehr geäußert. Ich meine jedoch, dass es Zeit ist, das Schweigen zu brechen.
Die wichtigsten Fragen waren immer: Passt ein Shopping Center eigentlich in unsere historische Altstadt? Und: Passt es überhaupt noch in die heutige Zeit? – Wir waren äußerst skeptisch. Und die Entwicklung der vergangenen vier Jahre hat uns darin bestätigt.

Ja, in der Tat, es ist bald vier Jahre her, dass ECE das Karstadt-Grundstück gekauft hat. Damals kündigte Geschäftsführer Wilhelmus noch vollmundig an, dass man sich bis Weihnachten alle anderen gewünschten Grundstücke sichern wolle. Nur welches Weihnachten meinte er? Es verging Weihnachten 2011, 2012, 2013 und 2014. Nichts wurde erworben: nicht die Polizei, nicht der Pavillon, nicht das Wohnhaus und nicht das Deutsche-Bank-Gebäude. – Wir müssen hier und heute feststellen: ECE steht in Mainz für Stillstand.
Für die Entwicklung des Quartiers waren es vier verlorene Jahre.

Wir erinnern uns: ECE hat ein Gebäude erworben, das auf viele Jahre zu 100% an Karstadt ver­mietet ist. Wir wissen, ECE möchte Karstadt massiv verkleinern oder ganz los­werden, weil ein Warenhaus weniger Miete einbringt als viele kleine Läden. Offen­sicht­lich hat ECE spekuliert, und zwar auf eine Insolvenz von Karstadt. Wir sind froh, dass sich ECE verspekuliert hat und setzen auf eine Zukunft von Karstadt.

Doch die Shopping-Center-Industrie hat sich nicht nur in Mainz verrannt. Die Presse ist voll mit Berichten von Shopping-Centern, die vor sich hindümpeln: Ob Ludwigshafen, Oldenburg, Frankfurt oder Dresden – der Markt wurde übersättigt mit Einzelhandelsflächen. Und es sind gerade die neuen Shopping Center, in denen die Leerstände kaum noch kaschiert werden können. Verschärft wird dies durch den boomenden Internet-Handel, der gerade die seelenlosen Center bedroht.

ECE hat im letzten Sommer die Reißleine gezogen: Was wurde aus Geschäftsführer Wilhelmus? Musste gehen. – Chefarchitekt Fuchs? Ist weg. – ECE Development GmbH? Wurde aufgelöst. – Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Das Geschäftsmodell „Shopping Center“ ist von vorgestern. Und Mainz kann heilfroh sein, dass dieser bittere Kelch bisher an uns vorbeigegangen ist.

Es ist also völlig unklar, was ECE überhaupt noch in Mainz vorhat. Wie lange sollen wir uns eigentlich noch hinhalten lassen? Die Politik in Mainz muss sich endlich eingestehen: ECE kann oder will die Grundstücke nicht zusammenbekommen – und das ist auch gut so. Wir sollten das Scheitern von ECE in Mainz als Chance begreifen. Es ist die Chance, dass wir aus einem Irrweg wieder rausfinden.

Wir müssen den Blick wieder aufrichten und einen Neustart vollziehen. Dabei müssen wir keineswegs bei null anfangen. Denn anders als ECE hat Mainz seine Hausaufgaben erledigt. Auf deutschlandweit vorbildliche Weise haben unsere Ludwigsstraßenforen dazu beigetragen, dass die unterschiedlichsten Interessen artikuliert und gebündelt wurden. Ob Fachleute oder Betroffene – Hunderte haben konstruktiv gemeinsam einen Konsens erarbeitet. Diese „Leitlinien“ wurden 2012 nahezu einstimmig im Mainzer Stadtrat ver­abschiedet. Expertisen liegen vor, ein Innenstadt-Entwicklungs­konzept ist in Arbeit. Wir sollten stolz sein und darauf aufbauen.

Was ist jetzt zu tun?

1. Die Politik muss das ursprüngliche Ziel wieder in den Fokus rücken: das war nicht der Bau eines Shopping Centers, sondern der Erhalt, die Modernisierung und die Stärkung des Warenhauses.
Zwar hat Karstadt bekanntlich Probleme und wird Standorte schließen. Jedoch gehört der Standort Mainz zu den besten in ganz Deutschland. Und deswegen möchte Karstadt hier langfristig bleiben und sogar wachsen.
ECE will das Gegenteil: ein möglichst kleines Warenhaus. Die Politik muss endlich erkennen, dass die Interesssen von ECE und Karstadt, von Shopping Center und Warenhaus, diametral entgegengesetzt sind.
Karstadt betreibt seit Jahrzehnten erfolgreich Einzelhandel in Mainz, sichert Arbeitsplätze in Mainz und zahlt seine Steuern in Mainz. – Das alles unterscheidet es von ECE.
Ich sage: Wer das Warenhaus modernisieren und stärken möchte, muss Karstadt als ersten Ansprechpartner wählen und nicht ECE.

2. ECE muss respektieren, dass seine Nachbarn nicht verkaufen wollen. Wir Mainzerinnen und Mainzer haben uns mit den Leitlinien klar für ein Quartier entschieden – lebendig und vielfältig. Umso absurder ist es, dass ECE und Stadtverwaltung immer wieder die Nachbar-Eigentümer zum Verkauf drängen wollen.
Welches Quartier besteht schon aus einem einzigen Eigentümer? Eine Mehr­zahl an Eigentümern ist geradezu eine Voraussetzung, um Lebendigkeit und Vielfalt zu erzeugen.
Statt die Eigentümer loswerden zu wollen, sollte die Stadt auf die Eigentümer zugehen mit dem Ziel, sie für ein abgestimmtes Quartierskonzept zu gewinnen. Dass so etwas mit großem Erfolg realisiert werden kann, das hat die Altstadt-Sanierung bewiesen.

3. Die Stadt muss das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen.
Grundlage müssen die Leitlinien von 2012 sein.
Denn der von ECE vorgelegte Entwurf ist eine städtebauliche Zumutung: ein riesiger Klotz, in dem jeder Quadratmeter als Verkaufsfläche ausgeschlachtet wird, ohne öffentliche Gassen oder Plätze, ohne eine einzige Wohnung, gesichts- und geschichtslos.
ECE hat erst kürzlich Lösungen versprochen für Anfang 2015. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Tagen auf das Frühjahr vertröstet werden. Und so wird es weitergehen. ECE steht seit 2011 mit nur einem Grundstück (Karstadt) da und kommt nicht voran. Daher muss die Stadt nun auch Ideen entwickeln, wie ECE gesichtswahrend ein Rückzug ermöglicht werden könnte.

Hierfür ist es vernünftig, sich in anderen Städten umzusehen. Iserlohn hat zum Beispiel im Juli seinen Karstadt schlicht und ergreifend gekauft. Der Bürgermeister erklärt: „Die Stadt Iserlohn möchte die Immobilie möglichst gemeinsam mit dem Hauptmieter Karstadt entwickeln.“ Man wolle sich die Gestaltungshoheit in der Stadtplanung nicht aus der Hand nehmen lassen. – Die Stadt Mainz wird sich einen Kauf des Karstadt-Gebäudes nicht leisten können. Aber nach vier Jahren Stillstand muss sie sich nun endlich der Aufgabe stellen, Alternativen zu ECE zu entwickeln. Hierzu ist Mut und Umsicht gefragt.

4. und letztens: Es ist mehr denn je nötig, die Bürgerbeteiligung wieder in Gang zu setzen. Wir Mainzerinnen und Mainzer lieben unsere Altstadt, wir sind voller Ideen und Tatendrang.

Für einen Neustart sollten wir auf Bewährtes setzen: auf die Leitlinien, auf Karstadt und auf die Nachbarschaft. Und vielleicht bedarf es auch statt ECE eines neuen Partners, der bereit und in der Lage ist, ein zukunftsfähiges Quartier Hand in Hand mit der Bürgerschaft zu entwickeln.

Lasst uns gemeinsam an dieser Idee weiterarbeiten!

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