Antrag im Ortsbeirat am 14. April 2021
Hintergrund
Im Jahr 1926 wurde den beiden Außenministern Aristide Briand (1862–1932) und Gustav Stresemann (1878–1929) der Friedensnobelpreis verliehen. Sie erhielten ihn acht Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs für die von ihnen betriebene französisch-deutsche Verständigungspolitik.
Nach dem Tode Stresemanns und dem Rückzug des französischen Militärs aus dem Rheinland (die Mainzer „Zone“ war die letzte) wurde 1931 in Mainz die Stresemann-Gedenkstätte eingeweiht. Das Monument („Dem Andenken Gustav Stresemanns“) wurde am Fischtor errichtet, bestens sichtbar von der gegenüberliegenden Rheinseite, und hatte ein Ausmaß vom 20 Meter Breite, 9 Meter Tiefe und 7,50 Meter Höhe.1
„Das Denkmal erweckte damals in ganz Deutschland Aufmerksamkeit, vor allem seine Einweihung. Eine Stadt wollte dem toten Staatsmann ihre Dankbarkeit für alle Rheinländer demonstrieren. Zugleich wollte Mainz damit auf die bahnbrechenden Schritte des deutsch-französischen Verständnisses hinweisen, die mit den Namen Locarno, Gustav Stresemann und Aristide Briand verbunden sind. Die ganze deutsche Republik blickte an diesem Wochenende auf Mainz. Stresemann und sein Ehrenmal war das hoffnungsvolle Thema in einer schweren Zeit der deutschen Demokratie.“2
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Gedenkstätte zunächst als öffentliche Toilettenanlage missbraucht und 1935 komplett zerstört.3
1961 wurde an derselben Stelle das Mahnmal der Deutschen Einheit („Deutschland ist unteilbar“) eingeweiht – ebenfalls unter reger Anteilnahme der Bevölkerung. Der 3,50 Meter hohe dreifach gespaltene Betonquader4 verweist auf die Teilung Deutschlands in einen westlichen, mittleren und östlichen Teil – unter Nennung zahlreicher Städte, die im heutigen Polen oder Russland liegen. Erst 1970 hat die Bundesrepublik Deutschland den Verzicht auf diese Gebiete zugesichert sowie 1990 im Rahmen der „Wiedervereinigung“ völkerrechtlich verbindlich bestätigt. Seit ungefähr 20 Jahren wird das Mahnmal durch eine Hinweisstele aus der Reihe „Historisches Mainz“ ergänzt. Diese verweist auf die bewegte Geschichte der Denkmäler am Fischtorplatz und stellt klar, dass Deutschland heute keine Gebietsansprüche mehr erhebt.
Beschluss
Der Ortsbeirat Mainz-Altstadt stellt fest: Die national bedeutende Stresemann-Gedenkstätte ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Mit der Zerstörung des Denkmals wollten die Nationalsozialisten das Andenken an den Friedensnobelpreisträger, die Verständigungspolitik und die Erfolge der Weimarer Demokratie tilgen. Wir möchten dem ein starkes Signal entgegensetzen. Daher setzt sich der Ortsbeirat dafür ein:
- Am Fischtorplatz soll ein Briand-Stresemann-Denkmal errichtet werden. Die Tradition der 1931 errichteten Stresemann-Gedenkstätte soll aufgegriffen, aber weiterentwickelt werden: Beide Träger des Friedensnobelpreises von 1926 sollen gleichberechtigt gewürdigt werden. Das Denkmal soll für Friedenspolitik, Völkerverständigung und speziell für die französisch-deutsche Freundschaft werben. Es soll für die Werte Frieden, Freiheit und Freundschaft sowie für die europäische Einigung und Solidarität stehen („Europa ist unteilbar“).
- Durch einen internationalen Wettbewerb sollen Ideen für die Konzeption und Gestaltung gewonnen werden. Wichtig sind dabei auch die Beziehungen und Positionen aller Denkmäler und Gestaltungselemente auf dem Fischtorplatz: Wie können Briand und Stresemann (bzw. das, wofür die beiden Friedensnobelpreisträger stehen) in den Mittelpunkt des Betrachtens gerückt werden?
- Das Mahnmal der Deutschen Einheit soll nicht entfernt werden. Die Künstlerinnen und Künstler sollen im Wettbewerb Ideen präsentieren, ob dieses Zeitzeugnis durch „das Neue“ konfrontiert, ergänzt oder weiterentwickelt werden soll oder ob es eigenständig – eventuell in der Position etwas variiert – erhalten bleiben soll. Die Ausmaße des neuen Denkmals sollen sich nicht an den Maßen der Gedenkstätte von 1931 orientieren. Der freie Blick vom Rhein zum Dom sowie vom Fischtorplatz auf den Rhein sind wichtig und sollen erhalten bleiben.
- Zur Finanzierung des Projekts sollen Bewerbungen bei europäischen und nationalen Institutionen, Stiftungen und Programmen eingereicht werden.
- Das Briand-Stresemann-Denkmal soll im Jahr 2026 zum 100. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises eingeweiht werden. Die Realisierung steht in keiner Abhängigkeit zur Bewerbung der Stadt Mainz um die Landesgartenschau 2026. Sie passt aber zeitlich wie thematisch bestens, da deren Konzept um die Motive Geschichte und Europa entwickelt wird. Das Denkmalprojekt wird die Bewerbung der Stadt Mainz bereichern und soll daher in das Bewerbungskonzept aufgenommen werden.
- Schon kurzfristig soll die Stele aus der Reihe „Historisches Mainz“ durch eine oder mehrere Stelen in weiteren Sprachen ergänzt werden, darunter Englisch, Polnisch und Russisch. Die Verwaltung wird gebeten zu prüfen, wie die Sichtbarkeit der Stelen durch eine neue Positionierung verbessert und wie deren Texte für Menschen mit Sehbehinderungen zur Verfügung gestellt werden können.
Begründung
Auch Frieden braucht Denkmäler! Im öffentlichen Raum finden sich viele Gedenkorte vergangener Generationen. Werte wie Demokratie, Freiheit, Frieden und Völkerverständigung werden durch Denkmäler nur selten versinnbildlicht. Wo schaffen wir – jederzeit sichtbare und zugängliche – Orte, an denen wir unsere Grundwerte oder deren Protagonist(inn)en würdigen?
Mit der Stresemann-Gedenkstätte stand in Mainz eines der seltenen Denkmäler, das einen führenden Repräsentanten der Weimarer Demokratie ehrte. Womöglich ist es sogar deutschlandweit das herausragende Denkmal dieser Art. Es ist wichtig, die Erinnerung wiederzubeleben: an das zerstörte Denkmal, die beiden Friedensnobelpreisträger und die Anfänge der französisch-deutschen Freundschaft. Wo ist der richtige Ort dafür, wenn nicht in Mainz? Wann ist der richtige Zeitpunkt, wenn nicht der 100. Jahrestag?
Das Briand-Stresemann-Denkmal kann die Mainzer Bewerbung um die Landesgartenschau 2026 bereichern: Denn wie kein anderes Projekt steht es anschaulich für den zweiten Teil des geplanten Mottos „Römische Gründung – Europäische Zukunft“. Doch auch unabhängig davon setzt sich der Ortsbeirat dafür ein, die beiden Friedensnobelpreisträger und Europäer an diesem Ort zu ehren.