In der Stadtratssitzung am 28. Juni 2017 wurde die „Richtlinie zur Inanspruchnahme des öffentlichen
Straßenraums im Stadtgebiet der Landeshauptstadt Mainz“ beschlossen. Sie befasst sich zum weit
überwiegenden Teil mit Straßen und Plätzen der Altstadt. Die "Plakatfreie Zone", die "Plätze für
Sondernutzungen" sowie die Lichtmastenbeispiele erstrecken sich fast ausschließlich auf unseren
Ortsbezirk. Dennoch wurde der Ortsbeirat Altstadt nicht vor der Beschlussfassung durch den Stadtrat
gehört. Dies stellt aus unserer Sicht einen Verstoß gegen § 75 (2): "Der Ortsbeirat ist zu allen
wichtigen Fragen, die den Ortsbezirk berühren, vor der Beschlußfassung des Gemeinderats zu hören"
der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung dar.
Inzwischen wurden mit der Richtlinie vielfältige Erfahrungen gesammelt. Es muss festgestellt werden,
dass sie sich aufgrund ihrer unverständlichen Kompliziertheit und ihrer zahlreichen Ausnahmeregelungen
in der Praxis nicht bewährt hat und eine Überarbeitung/Neufassung unausweichlich
geworden ist.
Ein paar Beispiele:
• Im Rahmen des Gutenberg-Marathons sind für einen Zeitraum von über drei Wochen
Werbebanner für Sponsoren (Banken, Supermärkte, etc.) unter anderem entlang der
Ludwigsstraße und auf dem Marktplatz aufgehängt worden (im Gegensatz zur Richtlinie,
siehe Anhang).
• Im Rahmen der Frühlingsmesse sind Bauzäune mit Transparenten aufgestellt worden, z.B. am
Gutenberg-Platz und Fischtorplatz, z.T. in Zonen, in denen noch nicht einmal Veranstaltungen
von politischen Parteien beworben werden dürfen.
• Im Vorfeld des Bürgerentscheids zum Bibelturm ist die genannte Maximalzahl von 100
Plakaten deutlich überschritten worden.
• Im Vorfeld des Bürgerentscheids zum Bibelturm wurden Plakate, die in der Ludwigsstraße
und an anderen verbotenen Stellen hingen, konsequent entfernt. Im Herbst 2017 wurden
dagegen Plakate für andere politische Veranstaltungen an diesen Stellen hängen gelassen.
• Für den Bundestagswahlkampf lies die Verwaltung für die Plakatierung eine längere Gestattungszeit
zu. Diese Ausnahmeregelung ist jedoch so kompliziert, dass nicht einmal die
Verwaltung bzgl. der Auslegung mit einer Stimme spricht (dies betrifft vor allem das
Plakatieren an Bäumen und Zier-/Laternenmasten).
• Das Verbot von übereinander hängenden Plakaten ist ebenfalls völlig unpraktikabel, da sich
nicht feststellen lässt, wer zuerst sein Plakat aufgehängt hat.
Alle Beispiele verstoßen – z.T. gravierend – gegen die Richtlinie und zeigen, dass weder die
Werbenden, noch die Verwaltung selbst in der Lage sind, die Richtlinien einzuhalten. Die Absicht,
die kommerzielle Werbung zu begrenzen, begrüßen wir. Sie wird aber konterkariert, wenn in der
Innenstadt – nicht nur an den Ausfallstraßen sondern auch in der Fußgängerzone – großflächige
(z.B. bewegliche) Transparente aufgestellt wurden (und möglicherweise noch werden).
Das Grundgesetz gibt den Parteien auf, an der Meinungsbildung mitzuwirken. Wenn z.B.
Veranstaltungshinweise in der Fußgängerzone, in der die BürgerInnen sich bewegen, nicht
angebracht werden dürfen, ist das ein gravierender Eingriff. Es ist auch nicht verständlich, wenn
politische Einzelveranstaltungen, die zwischen den Wahlen liegen, einer generellen Beschränkung
zur Plakatierung unterliegen.
In der Beschlussvorlage für die Stadtratssitzung am 28. Juni 2017 heißt es: "Der Erlass einer solchen
Richtlinie ist nach neuerer Rechtsprechung kein Geschäft der laufenden Verwaltung sondern dem
Stadtrat vorbehalten. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig geworden, eine entsprechende
Richtlinie im Rat zu beschließen, damit die Verwaltung das ihr zustehende Ermessen einheitlich,
nachvollziehbar und rechtssicher nach den Vorgaben dieser Richtlinie ausüben kann." Die Richtlinie
sollte auf die Zeiträume ausgerichtet sein und Anwendung finden, in denen der öffentliche
Straßenraum massiv genutzt wird (Wahlen, Bürgerentscheide, Großveranstaltungen). Die obigen
Beispiele zeigen jedoch, dass sie gerade in diesen Zeiten faktisch durch Verwaltungsermessen außer
Kraft gesetzt wurde. Es ist fraglich, ob das in Mainz praktizierte Vorgehen mit der oben erwähnten
Rechtssprechung konform ist. Wie die o.g. Beispiele deutlich zeigen, scheint die Richtlinie ein
„einheitlich(es), nachvollziehbar(es) und rechtssicher(es)“ Verwaltungshandeln nicht zu garantieren.
Wir fragen die Verwaltung:
1. Decken sich unsere Schlussfolgerungen mit denen der Verwaltung?
Falls nein, warum nicht?
2. Teilt die Verwaltung unsere Auffassung, dass die Richtlinie aufgrund ihrer Kompliziertheit
und teilweisen Unpraktikabilität dringend überarbeitet werden muss?
Falls nein, warum nicht?
3. Warum hält sich die Verwaltung z.B. bei der Bewerbung der Frühlingsmesse oder bei der
Werbung der SponsorInnen des Gutenbergmarathons nicht an ihre eigenen Regeln?
4. Wird es eigene Regeln für die kommenden Wahlen (insbesondere die Kommunalwahl
2019) geben?
5. Warum wurde der Ortsbeirat Altstadt vor der Beschlussfassung des Stadtrats am 28. Juni
2017 nicht gehört?
6. Auf welche Gerichtsurteile oder sonstige Rechtsauslegungen bezieht sich die oben zitierte
Passage ("nach neuerer Rechtsprechung")?
7. Welche Ämter der Verwaltung werden beteiligt? Wird ein „Runder Tisch“ gebildet, an
dem der Ortsbeirat Altstadt teilnehmen kann?
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